Der Verwalter im Verfahren
GRUNDLAGEN
Eine Stockwerkeigentümergemeinschaft hat keine eigene Rechtspersönlichkeit. Trotzdem ist sie gemäss Art. 712l ZGB für den Bereich der gemeinschaftlichen Verwaltung (beschränkt) handlungsfähig. Im Umfang der gemeinschaftlichen Verwaltung bzw. Haftung kann die Gemeinschaft «Partei» in einem Gerichtsverfahren sein. In diesen Fällen treten die Stockwerkeigentümer als Gemeinschaft (und nicht etwa als notwendige Streitgenossen) auf.
VERTRETUNGSMACHT UND VERTRETUNGSBEFUGNIS
Dem Verwalter kommt gemäss Art. 712t Abs. 1 ZGB «in allen Angelegenheiten der gemeinschaftlichen Verwaltung, die in den Bereich seiner gesetzlichen Aufgaben fallen» von Gesetzes wegen eine sog. Vertretungsmacht zu. Insoweit sich der Verwalter also innerhalb der Grenzen seiner Aufgaben gemäss Art. 712s ZGB bewegt, kommt ihm von Gesetzes wegen Vertretungsmacht zu.
Der Gemeinschaft steht es jedoch frei, intern abweichende Regelungen aufzustellen. Insoweit sich der Verwalter an derartige Beschränkungen hält, stellen sich keine weiteren Fragen; die Handlungen des Verwalters binden diesfalls die Gemeinschaft. Verstösst der Verwalter aber gegen die internen Beschränkungen, so ist ein gutgläubiger Dritter in seinem Vertrauen auf die gesetzliche Vertretungsmacht so lange zu schützen, wie er keine Kenntnis von der abweichenden Vertretungsbefugnis hat.
Der Verwalter kann seine Vertretungsbefugnis in mehrfacher Hinsicht überschreiten: Er kann eine sachliche Einschränkung durch das Reglement, den Mandatsvertrag oder einen Beschluss ignorieren und im Rahmen der gesetzlichen Vertretungsmacht handeln. Er kann im Weiteren das verabschiedete Budget überschreiten. Schliesslich kann er auch im Rahmen einer nicht budgetierten Ausgabe seine Kompetenzsumme überschreiten. Alle drei Überschreitungen der Vertretungsbefugnis stellen eine Vertragsverletzung dar. Insoweit sich die Ausgaben nicht anderweitig, z.B. aufgrund von Dringlichkeit rechtfertigen lassen, entsteht der Gemeinschaft hierdurch ein Schaden, für den der Verwalter haftbar ist. Er muss überdies mit der Kündigung des Verwaltungsvertrages, im Extremfall auch mit seiner Abberufung rechnen.
GESETZLICHE VERTRETUNGSBERECHTIGUNG
Das Gesetz hält in Art. 712t Abs. 2 ZGB fest, dass der Verwalter von sich aus all jene Gerichtsverfahren anstrengen, für welche die Zivilprozessordnung ein sog. summarisches Verfahren vorsieht. Das Summarverfahren ist beispielsweise für vorsorgliche Massnahmen, für den Rechtsschutz in klaren Fällen und viele betreibungsrechtliche Verfahren wie die Rechtsöffnung vorgesehen. In diesen Fällen darf der Verwalter – wie ein Anwalt – alle erforderlichen Prozesshandlungen vornehmen. Darüber hinaus kann er eigenständig entscheiden, ob er etwa einen Vergleich eingehen oder sich auf einen Prozess einlassen will und – im letzteren Fall –, ob er einen Entscheid akzeptieren oder weiterziehen will.
In allen übrigen Fällen ist der Verwalter auf einen vorherigen Ermächtigungsbeschluss zur Vertretung der Gemeinschaft vor Gericht angewiesen. Dieser Beschluss ist wohl meist als wichtige Verwaltungshandlung gemäss Art. 647b ZGB mit qualifiziertem Mehr nach Köpfen und Wertquoten zu fassen. Lehre und Rechtsprechung verlangen grundsätzlich einen separaten Beschluss für jeden einzelnen Prozess; eine Generalvollmacht zu Gunsten der Verwaltung für beliebige künftige Prozesse ist grundsätzlich unwirksam. Die Ermächtigung einer Stockwerkeigentümergemeinschaft sie in zukünftigen Belangen betreffend einen bestimmten Stockwerkeigentümers zu vertreten, ohne die Prozessführungsbefugnis näher zu spezifizieren, erachtete das Bundesgericht im Entscheid 5A_590/2011 aber als hinreichend. Eine Ausnahme gilt nur für dringliche Fälle, in welchem der Verwalter eine nachträgliche Ermächtigung einholen kann.
GEWILLKÜRTE VERTRETUNGSBERECHTIGUNG
Da die gesetzlich vorgesehene Vertretungsberechtigung im Grunde Teil der vermuteten Vertretungsmacht ist, kann die Gemeinschaft die Vertretungsbefugnis des Verwalters intern dahingehend einschränken, dass der Verwalter überhaupt keine Verfahren im Namen der Stockwerkeigentümergemeinschaft ohne vorherigen Ermächtigungsbeschluss einleiten oder selbständig führen darf.
Nicht möglich ist es, den Verwalter gewissermassen pauschal zur Führung von Prozessen zu ermächtigen. Dies ist nicht einmal für Beschlussanfechtungen zulässig. Dies führt in der Regel dazu, dass im Nachgang zu einer Beschlussanfechtung zeitnah wieder eine ausserordentliche Versammlung stattfinden muss, weil der Verwalter bereits für das Schlichtungsverfahren eine Ermächtigung benötigt. Die Argumentation, dass aufgrund der geringen Zeitdauer zwischen Anfechtung und Schlichtungsverhandlung – das Gesetz geht von einer Frist von zwei Monaten aus - , ist zwar durchaus möglich. Spätestens für ein gerichtliches Verfahren ist dann ein Ermächtigungsbeschluss zwingend. Umgekehrt ist es oft so, dass im Rahmen der Diskussion über die Ermächtigung zur Prozessführung noch einmal Diskussionen über den angefochtenen Beschluss stattfinden können. Dies kann dazu führen, dass Kompromisse geschlossen werden und die Anfechtung sich erübrigt.
MÖGLICHE ROLLEN DES VERWALTERS
Der Verwalter kann – obwohl von Gesetzes wegen an sich nur Anwälte dazu befugt sind – die Gemeinschaft vor Gericht direkt vertreten. Er muss demgemäss keinen Anwalt beiziehen. Dem juristisch nicht versierten Verwalter wird jedoch hiervon abgeraten. Macht der Verwalter einen prozessualen Fehler, so muss er nicht nur den Schaden der Gemeinschaft decken, sondern hat auch mit dem Verlust des Mandats zu rechnen.
Ist der Verwalter ermächtigt, einen Prozess zu führen, ist er nach Lehre und Rechtsprechung auch befugt, einen Anwalt beizuziehen. Fraglich ist jedoch, wie mit den Kosten des mandatierten Anwalts zu verfahren ist. Insoweit das Honorar die Kompetenzsumme des Verwalters oder das verabschiedete Budget übersteigt, stellt sich diese Frage spätestens im Rahmen der Genehmigung der Jahresrechnung. Im Entscheid 5D.18/2018 ging das Bundesgericht zumindest implizit davon aus, dass wenn der Beizug eines Anwalts rechtmässig sei, die Gemeinschaft auch dessen Kosten zu tragen hätten. Um derlei Diskussionen nicht führen zu müssen, empfiehlt es sich, im Rahmen der Ermächtigung zur Prozessführung auch den Beizug des Anwalts sowie ein Budget für dessen Kosten genehmigen zu lassen. Insoweit das Verfahren im Summarverfahren geführt wird, kann der Verwalter im Rahmen seiner Kompetenzsumme ohne Ermächtigungsbeschluss einen Anwalt mandatieren.
Unter Umständen kann es auch sinnvoll sein, dass sich die Verwaltung komplett aus der Prozessführung zurückzieht. Positiv an dieser Konstellation ist für die Verwaltung, dass sowohl das Resultat des Prozesses als auch dessen negative Emotionen nicht auf sie zurückfallen. Negativ dürfte der Zusatzaufwand sein, mit welchem die Verwaltung irgendwann mit den Informationen zum Prozess versorgt werden muss.
FAZIT
Die Prozessführung ist eine weitere Facette im umfangreichen Anforderungsprofil an einen guten Verwalter von Stockwerkeigentümergemeinschaften. Sie erfordert vom Verwalter detaillierte Kenntnisse juristischer Natur, damit er die Weichen für einen Prozess frühzeitig in die richtige Richtung stellt. Dabei muss sich der Verwalter jeweils auch fragen, welche Rolle für seine künftige Verwaltungstätigkeit die günstigste ist.
Dieser Artikel erschien in der November-Ausgabe des Jahre 2020 der Immobilia, der Verbandzeitung des SVIT Schweiz. Er ist eine Kurzform dessen, was Michel de Roche und unsere ehemalige Mitarbeiterin Dr. Noémi Biro der 10. Tagung des Stockwerkeigentums der Universität Luzern publiziert haben. Hierzu gab es auch einen Podcast im Rahmen der Online-Tagung. Michel de Roche steht Ihnen bei Fragen rund um dieses und andere Immobilienthemen gerne zur Verfügung.