STWE-Versammlungen im Corona-Zeitalter

Die Corona-Krise stellte im Frühjahr 2020 viele Bewirtschafter von Stockwerkeigentum vor ungeahnte Fragestellungen und Probleme. Mittlerweile ist etwas Routine eingekehrt im Umgang mit der neuen Situation. Es ist Zeit, einen Überblick zu schaffen.

Gesetzliche Grundlage

Auf der Basis des dringlich erklärten COVID-19-Gesetzes hat der Bundesrat unter anderem die COVID-19-Verordnung 3 erlassen. Diese ist nach wie vor stetiger Veränderung unterworfen, soll jedoch – Stand heute – bis zum 31. Dezember 2021 gelten. Die Bewirtschafter interessierende Norm über die Versammlungen von Gesellschaften findet sich aktuell in Art. 27. Im Zuge der sich laufend wandelnden Verordnungen publizierte das Bundesamt für Justiz stets auch Erläuterungen zu den Verordnungen. Zum heutigen Art. 27 bestehen zudem schon seit Frühling die FAQ zu Generalversammlungen, welche präzisierende Ausführungen enthalten. Gemäss diesen ist Art. 27 auch auf Stockwerkeigentümerversammlungen anwendbar, was zu Beginn der Corona-Krise noch umstritten war. Dem Autor ist bisher weder ein Urteil noch eine Lehrmeinung bekannt, welches die Gültigkeit dieser Feststellung in Frage stellen würde.

Bewirtschafter stehen nun vor der Herausforderung, sich für die richtige Versammlungsform zu entscheiden, welche unter den aktuellen Gegebenheiten zur Verfügung stehen. Deren Voraussetzungen sind nachstehend kurz zu skizzieren und anschliessend Argumente für die Entscheidung zu Gunsten der besten Versammlungsform zusammenzufassen.

Klassische Versammlungen

Versammlungen mit physischer Präsenz können nach wie vor durchgeführt werden. Dies unter Vorbehalt von aktuellen Einschränkungen bezüglich Versammlungsteilnehmer und dem Vorhandensein von genügend grossen Räumlichkeiten. Die Fachkammer Stockwerkeigentum (FKSTWE) hat gemeinsam mit dem SVIT Schweiz ein Schutzkonzept entworfen, welches auf den Websites der beiden Verbände abrufbar ist.

Nach wie vor besteht die Möglichkeit, dass einzelne Stockwerkeigentümer sich durch jemanden vertreten lassen. Eigentümer können hierzu jedoch im Rahmen einer physischen Versammlung nicht gezwungen werden.

Prüfenswert kann auch die schlichte Verschiebung der Versammlung sein, wobei zu beachten ist, dass viele Reglemente die Durchführung einer Versammlung innert einer bestimmten Frist verlangen. Zudem besteht von Gesetzes wegen eine Pflicht zur jährlichen Durchführung einer Versammlung. Wo sich jedoch keiner gegen eine Verschiebung oder gar eine Absage wehrt, wird niemand zur Durchführung einer Versammlung gezwungen.

Zirkularbeschlüsse

Nebst den klassischen Versammlungen besteht seit jeher die Möglichkeit, Zirkularbeschlüsse zu fassen. Diese müssen jedoch einstimmig erfolgen. Festzuhalten ist, dass die Gültigkeit von Reglementsbestimmungen, welche Mehrheitsbeschlüsse in Zirkularform zulassen, höchst umstritten ist.

Schriftliche Abstimmungen

Wie gesehen besteht bis Ende 2021 die Möglichkeit, die schriftliche Abstimmung anzuordnen. Zu beachten ist, dass eine schriftliche Abstimmung «Schriftlichkeit» voraussetzt. Demgemäss reicht die Abgabe einer Stimme per E-Mail nicht. Zwingend erforderlich ist das Vorliegen einer Unterschrift, die auch eingescannt werden kann. Im Zweifelsfalle ist das Originaldokument einer E-Mail-Versendung per Post nachzusenden. Um das Element der Unterschrift zu umgehen, kann der Stockwerkeigentümer jedoch – reglementarische Einschränkungen vorbehalten – eine Drittperson ohne Einhaltung der Schriftform bevollmächtigen, das Stimmrecht für ihn auszuüben. Bevollmächtigt also ein Stockwerkeigentümer per E-Mail z.B. den Bewirtschafter, so kann dieser danach das Stimmrecht für den Vollmachtgeber schriftlich ausüben.

Die Auszählung der schriftlich abgegeben Stimmen erfolgt am Datum der Versammlungsansetzung. Verspätet eingetroffene Stimmen dürfen nicht berücksichtigt werden.

Elektronische Versammlungen

Bei der Durchführung von Telefon- oder Videokonferenzen bestehen verschiedene zwingende Voraussetzungen. Der Bewirtschafter muss sicherstellen, dass er jeden Teilnehmer identifizieren kann. Jeder muss die Möglichkeit haben, sich zu äussern und die Voten anderer Teilnehmer zu hören. Schliesslich muss jeder abstimmen können. Um dies nachvollziehbar zu machen, wird der Einzelaufruf bei Abstimmungen empfohlen.

Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass der Bewirtschafter rechtlich nicht dafür verantwortlich ist, dass jedermann technisch fähig ist, sich an einer elektronischen Versammlung zu beteiligen. Ferner ist jedermann selbst dafür verantwortlich, dass er über eine stabile Internetleitung verfügt und seine Technik funktioniert. Fliegt also jemand während der Versammlung aus der Konferenz, weil z.B. der Akku seines Computers leer ist, ist er selbst dafür verantwortlich und kann sein Stimmrecht nicht nachträglich ausüben oder den Beschluss deswegen erfolgreich anfechten.

Gemeinsame Regelungen

Bei der Anordnung einer der beiden ausserordentlichen Versammlungsformen sind einige Regelungen zu beachten: Der Bewirtschafter muss die reglementarische Einladungsfrist einhalten. Nur die Anordnung der schriftlichen Abstimmung, bzw. elektronischen Versammlung kann bis zu vier Tage vor der Versammlung erfolgen. Für die Einhaltung dieser Frist ist das Datum der Absendung relevant. Im Nachgang zur Versammlung ist wie üblich ein Protokoll zu erstellen und an die Stockwerkeigentümer zu versenden.

Für die in einer ausserordentlichen Form zu fassenden Beschlüsse gelten dieselben Quorenbestimmungen, wie bei normalen Versammlungen. Dies hat nach Auffassung des Autors auch für Anwesenheitsquoren zu gelten. «Nichtreaktionen» von Stockwerkeigentümern können demgemäss nicht als teilnehmende Stimmenthaltungen gewertet werden. Wermelinger vertritt demgegenüber in einer noch nicht publizierten Lehrmeinung die Auffassung, dass die Beschlussfähigkeitsbestimmungen gemäss Art. 712p ZGB eher nicht gelten, sodass auch Abstimmungen gültig zu Stande kämen, welche eine bei ordentlichen Versammlungen ungenügende Stimmbeteiligung gehabt hätten.

Selbstverständlich besteht auch die Möglichkeit, eine schriftliche Abstimmung mit einer vorgeschalteten Video-/Telefonkonferenz zu Informationszwecken zu kombinieren. Dies ermöglicht einerseits den Austausch von Informationen und Meinungen, stellt anderseits sicher, dass auch Teilnehmer ihre Stimmrechte ausüben können, welche weder über die Zeit noch die technischen Fähigkeiten verfügen, sich an der elektronischen Konferenz zu beteiligen.

Festzuhalten ist, dass die Anordnung der ausserordentlichen Versammlungsart im Ermessen des Bewirtschafters steht. Hat der Bewirtschafter eine Anordnung getroffen, so besteht gegen diese kein Rechtsmittel. Ein mit der Art der Versammlung unglücklicher Stockwerkeigentümer kann die dann gefassten Beschlüsse zwar anfechten, wird aber alleine mit dem Argument, dass der Bewirtschafter eine bestimmte Art der Versammlung angeordnet hat, keinen Erfolg haben.

Entscheidfindung

Im Rahmen der Entscheidfindung über den Versammlungsmodus hat der Bewirtschafter viele Argumente abzuwägen.

  • Je nach Phase der Pandemie sind physische Versammlungen auch bei Zulässigkeit aus Gründen der Vorsicht und Fürsorge für die Stockwerkeigentümer und die Mitarbeitenden trotz Vorliegens eines Schutzkonzepts zu vermeiden.
  • Je mehr Diskussionsbedarf besteht, desto eher ist eine Form zu wählen, welche diese – allenfalls auch in Kombination mit einer schriftlichen Abstimmung – auch zulässt. Standardtraktanden können in der Regel problemlos mit einer schriftlichen Abstimmung abgehalten werden.
  • Je grösser eine Gemeinschaft ist, desto weniger eignet sich eine Telefon- oder Videokonferenz.
  • Je weiter weg die einzelnen Stockwerkeigentümer wohnen, desto eher eignet sich eine ausserordentliche Versammlungsform.
  • Die technische Affinität der Teilnehmer ist beim Entscheid für oder gegen eine elektronische Teilnahme zu berücksichtigen. Allenfalls ist auch das Angebot der technischen Hilfeleistung zu machen.
  • Sind einstimmige Beschlüsse zu fällen, so ist der klassische Zirkularbeschluss zu bevorzugen. Dieser lässt es zu, dass zunächst kritische oder abweichende Stimmen im Rahmen separater Diskussionen noch zu einer Zustimmung überzeugt werden können. Im Rahmen von schriftlichen Abstimmungen ist dies nicht möglich.

Fazit

Mit der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Form der Versammlung zieht der Bewirtschafter Emotionen der Eigentümer auf sich. Letztlich ist die Wahl der richtigen Versammlungsform kaum eine Aufgabe, bei welcher der Bewirtschafter es allen recht machen kann. Ob es deshalb angezeigt ist, die Stockwerkeigentümer vorgängig zu den zur Verfügung stehenden Optionen zu befragen, muss bezweifelt werden. Dennoch ist zu beachten, dass der Bewirtschafter stets Dienstleister am Kunden ist. Entfernt er sich zu stark den Bedürfnissen der Gemeinschaft, so muss er auf lange Sicht mit dem Mandatsverlust rechnen.

Die Möglichkeit der schriftlichen Abstimmung bietet dem Bewirtschafter neue Möglichkeiten, rasch und ohne grossen Aufwand verbindliche Instruktionen von der Gemeinschaft einzuholen. So kann mittels schriftlicher Abstimmung beispielsweise sehr zeitnah eine Prozessermächtigung für einen Beschlussanfechtungsprozess eingeholt oder die Genehmigung einer nicht budgetierten, aber relativ dringenden Ausgabe beantragt werden.

 

Dieser Artikel erschien in einer Kurzform in der Dezember-Ausgabe des Jahre 2020 der Immobilia, der Verbandzeitung des SVIT Schweiz. Michel de Roche steht Ihnen bei Fragen rund um dieses und andere Immobilienthemen gerne zur Verfügung.