Der Verwalter als Exekutivorgan der STWEG
- Einführung
Ein kurzer Blick in ein gängiges Wörterbuch zeigt, dass das Verb „verwalten“ eine eher unspektakuläre Bedeutung innehat. Verwalten heisst demnach, im Auftrag eines anderen etwas betreuen, in seiner Obhut haben oder in Ordnung halten. Mit anderen Worten: Schauen, dass alles so bleibt, wie es ist. Wie aber kommt es nun, dass in den Reglementen von Stockwerkeigentümergemeinschaften regelmässig davon die Rede ist, dass die Versammlung der Stockwerkeigentümer über die Verfügungen des Verwalters entscheiden kann? Was verbirgt sich hinter dem Begriff des Verwaltens einer Liegenschaft und was ist die Rolle des Verwalters in diesem Kontext? Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Verwalter hat über das reine Verwalten hinaus noch weitere, wichtige Kompetenzen.
- Die Rolle und die Überwachungsfunktion des Verwalters
Die Aufgaben des Verwalters sind gesetzlich in den Artikeln 712s und 712t des Zivilgesetzbuchs (ZGB) geregelt. Demgemäss ist der Verwalter das Exekutivorgan der Stockwerkeigentümergemeinschaft, er vollzieht alle Handlungen der gemeinschaftlichen Verwaltung auf der Grundlage des Gesetzes, des Reglements sowie der Beschlüsse der Stockwerkeigentümergemeinschaft. Der konkrete ihm zustehende Handlungsspielraum wird jedoch nicht nur durch das Gesetz, das Reglement sowie die Hausordnung vorgegeben, sondern auch vertraglich festgehalten. Zu beachten ist, dass die Aufgaben des Verwalters durch die Gemeinschaft fast beliebig umschrieben und eingeschränkt werden können, zumal auf die Einsetzung eines Verwalters auch verzichtet werden kann. Dem Verwalter kommt zwar vordergründig eine Vollzugsfunktion zu, er hat jedoch im Rahmen seiner exekutiven Gewalt auch Befugnisse im Hinblick auf das Zusammenleben und die Durchsetzung des Gesetzes, des Reglements sowie der Hausordnung gegenüber den Stockwerkeigentümern (sogenannte Überwachungsfunktion). Das Gesetz führt zu den Aufgaben des Verwalters folgendes aus: „Er wacht darüber, dass in der Ausübung der Sonderrechte und in der Benutzung der gemeinschaftlichen Teile des Grundstückes und Gebäudes sowie der gemeinschaftlichen Einrichtungen die Vorschriften des Gesetzes, des Reglements und der Hausordnung befolgt werden“ (Art. 712t ZGB). Die Aufgabe des Verwalters geht nach dem Gesetzeswortlaut über die Überwachung des Gebrauchs gemeinschaftlicher Teile der Liegenschaft hinaus und umfass auch die im Sonderrecht der jeweiligen Stockwerkeigentümer stehenden Teile des Gebäudes. Ebenso erstreckt sich die Überwachungsaufgabe auch auf allfällige Hilfspersonen, wie etwa Gärtner oder Hauswarte.
- Der Verwalter als Polizist? – Beispiele für Verfügungen des Verwalters
Für die effektive Ausübung seiner Überwachungsfunktion und die Durchsetzung der Rechts- und Gemeinschaftsordnung können dem Verwalter jedoch auch Handlungsmöglichkeiten, die – wenn wir bei der Terminologie der Gewaltenteilung bleiben – eher der Judikative zugeordnet wären, übertragen werden. Der Verwalter ist nicht nur ermächtigt, sondern auch verpflichtet, bei einem entsprechenden gesetzes- oder reglementswidrigen Verhalten einzugreifen. So kann ihm insbesondere durch das Reglement etwa die Befugnis gegeben werden, mündliche oder schriftliche Mahnungen zu erlassen, eine Nutzungseinschränkung der gemeinschaftlich genutzten Teile einer Liegenschaft auszusprechen oder gar eine Busse bzw. Geldstrafe zu verhängen. Dringliche Massnahmen kann er hingegen auch von sich aus und ohne expliziten Auftrag der Gemeinschaft ergreifen (Art. 712s Abs. 1 ZGB). Daneben umfasst die Überwachungsaufgabe des Verwalters weitere Kontrollmassnahmen, die an sich keine „Verfügungen“ darstellen, auch wenn der Begriff der Verfügung in diesem Kontext nicht im streng rechtlichen Sinne zu verstehen ist. Abgesehen von den oben erwähnten Massnahmen kann der Verwalter etwa Kontrollgänge unternehmen, bauliche Eingriffe an gemeinschaftlich genutzten Teilen der Liegenschaft entfernen oder als niederschwellige Massnahme das Fehlverhalten an einer Versammlung der Stockwerkeigentümer thematisieren. Begrenzt wird die Sanktionsbefugnis des Verwalters neben den reglementarischen Vorgaben auch dadurch, dass der Verwalter keine polizeilichen Befugnisse besitzt – und etwa auch nicht ohne Zustimmung des Sonderrechtsinhabers in eine Wohnung eintreten darf. Die Sanktionsmöglichkeiten zielen immer darauf ab, das Zusammenleben in der Gemeinschaft zu stärken und deren Interessen zu wahren. Zudem ist der Verwalter in der Auswahl seiner Mittel der Überwachung selbstverständlich an weitere gesetzliche Vorgaben, etwa aus dem Datenschutz- oder Strafrecht gebunden, wenn es z.B. um die Videoüberwachung eines gemeinschaftlich genutzten Teils der Liegenschaft geht.
- Voraussetzungen für die Einführung von Sanktionen
In Bezug auf die Sanktionsbefugnis des Verwalters als Ausfluss seiner Überwachungsaufgabe ist eine gewisse Nähe zum Strafrecht erkennbar. Im Strafrecht gilt bekanntlich der Grundsatz: „Keine Strafe ohne Gesetz“. Aus dem Gesetz muss weiter muss die verpönte Verhaltensweise ersichtlich sowie die drohende Strafe bei einer Missachtung des Verbots vorhersehbar sei sein. Übertragen auf die Sanktionsmöglichkeiten eines Verwalters im Kontext des Stockwerkeigentums bedeutet dies, dass auch der Stockwerkeigentümer wissen muss, was er zu tun oder zu unterlassen hat und welche konkreten Folgen etwa ein reglementswidriges Verhalten nach sich ziehen kann. Dementsprechend bedarf die Einführung von Sanktionen durch die Gemeinschaft besonderer Voraussetzungen:
- Einstimmige Beschlussfassung (ausser in Bezug auf die Verwarnung, bzw. Ermahnung), es sei denn, die Sanktionsmöglichkeit sei bereits beim erstmaligen Erlass des Reglements eingeführt worden;
- Das Verhalten, das zu einer Sanktion führt, muss genügend klar umschrieben werden;
- Der Handlungsspielraum und vor allem die maximale Sanktionsmöglichkeit muss aus dem Reglement ersichtlich sein (insbesondere in Bezug auf die Busse oder Geldstrafe);
- Die Verfahrensgrundsätze müssen im Reglement verankert werden;
- Aus der Gerichtspraxis – wenige Fälle gelangen bis vor die Gerichte
Beispiele aus der Gerichtspraxis sind sehr selten. Das Bundesgericht hat etwa im Zusammenhang mit einer Umnutzung eines Büroraumes zu einer Wohneinheit erwähnt, dass der Verwalter bei der Ausübung seiner Überwachungsaufgabe auch im Reglement festgehaltene Verbote einer Umnutzung gestützt auf Art. 712t Abs. 3 ZGB mit der entsprechenden Grundlage im Reglement Verfügungen erlassen könne bzw. das Gericht bei reglementwidrigen Nutzungen des Sonderrechts direkt gestützt auf seine Überwachungsbefugnis anrufen kann. Auf die Frage, wie der Verwalter von diesem Verfügungsrecht im konkreten Fall hätte Gebrauch machen sollen (ausser mit einer gerichtlichen Durchsetzung), geht das Gericht jedoch nicht weiter ein.
Fest steht hingegen, dass einem Stockwerkeigentümer das Recht, gegen reglementswidrige Handlungen eines anderen Stockwerkeigentümers vorzugehen, nicht direkt oder nur über die allfällige Anfechtung eines Beschlusses der Stockwerkeigentümergemeinschaft zusteht (BGer 5A_640/2012 vom 13. November 2012, insb. E. 4.2).
- Beschwerde- bzw. Rekursrecht gegen Verfügungen des Verwalters
Dass wenige Gerichtsfälle betreffend die hier behandelte Thematik existieren, ist jedoch nicht dem Umstand geschuldet, dass sich Stockwerkeigentümer gegen Verfügungen des Verwalters nicht wehren können. Wie bereits erwähnt, muss im Reglement als Voraussetzung für die Sanktionsbefugnisse auch die Möglichkeit des Rechtsschutzes verankert sein, um die Adressaten der Verfügungen des Verwalters wiederum vor reglements- oder gesetzeswidrigen Sanktionen zu schützen. Standardmässig sehen Reglemente deshalb vor, dass die Stockwerkeigentümerversammlung – quasi als „erste Instanz“ – über Beschwerden gegen Verfügungen des Verwalters entscheidet.
- Anfechtung des Beschlusses der Stockwerkeigentümerversammlung
Auch gegen den entsprechenden Beschluss der Stockwerkeigentümerversammlung muss die von einer Verfügung des Verwalters betroffene Person die Möglichkeit haben, sich zu wehren, falls sich der Mehrheitsbeschluss mit der gesetzes- oder reglementswidrigen Verfügung des Verwalters decken sollte.
In diesem Fall kann der widerrechtliche Beschluss der Stockwerkeigentümerversammlung innert Monatsfrist auf dem gerichtlichen Weg bzw. zunächst über das Schlichtungsverfahren auf der Grundlage von Art. 75 ZGB angefochten werden.
Dementsprechend bleibt der Rechtsschutz in diesen Fällen für den betroffenen Stockwerkeigentümer gewahrt und die Verfügung des Verwalters steht schliesslich einer gerichtlichen Überprüfung offen.
- Fazit
Die Aufgabe des Verwalters beschränkt sich nicht nur auf die eigentlichen Verwaltungshandlungen, sondern umfasst insbesondere die Befugnis, Verfügungen gegen einzelne Stockwerkeigentümer zu treffen, sobald die Interessen der Stockwerkeigentümergemeinschaft gefährdet sind. Die Handlungsmöglichkeiten sind vielfältig und reichen von einer einfachen mündlichen Ermahnung bis zur Verhängung einer Busse, sofern diese im Reglement vorgesehen ist. Der von der Verfügung betroffene Stockwerkeigentümer hat schliesslich die Möglichkeit, unrechtmässige Handlungen des Verwalters anzufechten und kann notfalls auch gerichtlich dagegen vorgehen.
Dieser Beitrag wurde von Michel de Roche und Dennis Kramer verfasst. Bei Fragen rund um Stockwerkeigentum steht Ihnen Michel de Roche gerne zur Verfügung.